Glauben Aleviten an Allah? Ein tiefer Einblick in den alevitischen Glauben
Die einzigartige Gottesvorstellung im Alevismus
Die Frage, ob Aleviten an Allah glauben, lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Der alevitische Glaube, eine mystische Strömung innerhalb des Islam, präsentiert eine einzigartige Gottesvorstellung, die sich deutlich vom sunnitischen und schiitischen Islam unterscheidet. Während Aleviten den einen, allgegenwärtigen Gott, den Schöpfer und Ursprung allen Seins, anerkennen – oft als Allah oder Hakk (die Wahrheit) bezeichnet – liegt der Fokus weniger auf einer distanzierten, transzendenten Gottheit und mehr auf der immanenten Präsenz Gottes in der Schöpfung und im Menschen selbst.
Yunus Emres berühmtes Zitat, „Wohin ich schaue, sehe ich Gott. Die Göttlichkeit existiert in allem, weil alles von Gott kommt“, spiegelt diese Sichtweise wider. Gott ist nicht getrennt von der Welt, sondern durchdringt sie. Die volle Erkenntnis Gottes bleibt dem Menschen jedoch verwehrt; der Weg zur Annäherung an Gott ist ein lebenslanger Prozess der spirituellen Entwicklung.
Die Bedeutung von Mohammed und Ali im alevitischen Glauben
Mohammed wird von Aleviten als der Gesandte Gottes anerkannt. Jedoch nimmt die Figur Alis, des Schwiegersohns Mohammeds, eine zentrale Rolle ein. Ali wird als auserwählter Freund und Heiliger angesehen, der eine besondere Offenbarung Gottes empfing. Diese besondere Beziehung zwischen Gott, Mohammed und Ali wird in der Formel „Hakk-Muhammed-Ali“ symbolisiert und drückt eine untrennbare Einheit aus. Die Formel ist oft in der kurzen Glaubensbezeugung „Ya Allah, ya Muhammet, ya Ali“ enthalten.
Diese Betonung Alis unterscheidet den Alevismus deutlich vom sunnitischen Islam. Die alevitische Tradition interpretiert den Koran und die sunnitischen Hadith-Sammlungen anders, die „Fünf Säulen des Islam“ (Schahada, Gebet, Fasten, Almosen, Pilgerfahrt) werden nicht als bindend angesehen. Der Fokus liegt auf innerer Spiritualität und ethischem Handeln, weniger auf ritueller Observanz.
Die Zwölf Imame und die Cem-Zeremonie
Neben Ali spielen auch die zwölf Imame eine wichtige Rolle im alevitischen Glauben. Sie werden als spirituelle Führer und Vermittler zwischen Gott und Menschheit angesehen, repräsentieren verschiedene Aspekte der Welt und werden in der Cem-Zeremonie verkörpert. Die Cem ist ein zentrales Ritual, ein gemeinschaftliches Gebet und Festmahl, das den Kern der alevitischen Glaubensausübung bildet.
Die Cem-Zeremonie umfasst Musik, Gesang, Tanz (Sema) und die Einnahme von "Dem" (Fruchtsaft oder Wein), symbolisierend die Liebe zwischen Schöpfer und Geschöpf. Durch die Cem erfahren die Aleviten Gemeinschaft, spirituelle Vertiefung und eine stärkere Verbundenheit mit Gott und ihren Mitmenschen. Jedes Element der Zeremonie trägt dazu bei, die Beziehung zu Allah zu festigen und die eigene spirituelle Entwicklung voranzutreiben.
Egalitarismus und Toleranz: Kernprinzipien des Alevismus
Ein grundlegendes Prinzip des alevitischen Glaubens ist die Gleichwertigkeit aller Menschen und Religionen. Jeder Mensch trägt einen Teil der göttlichen Kraft in sich und ist daher gleichwertig geschaffen. Dieser Glaube manifestiert sich in dem Leitsatz: „Betrachte alle Religionsgemeinschaften und alle Völker als gleichwertig“.
Die Aleviten streben nach persönlicher Vervollkommnung (insan-ı kamil olmak), die durch gemeinsames Gebet, die Herstellung von Einvernehmen (rızalık) und die Befolgung der "Vier Tore und Vierzig Regeln" gefördert wird. Dieser Weg der spirituellen Entwicklung führt letztendlich zur Wiedervereinigung mit Gott. Toleranz, Menschlichkeit und soziale Gerechtigkeit sind zentrale Werte.
Der alevitische Weg zur Gotteserkenntnis: Innere Arbeit und spirituelle Entwicklung
Im Alevismus steht die innere Arbeit im Mittelpunkt des Weges zur Gotteserkenntnis. Gott wird als helfende Instanz gesehen, die den Menschen auf diesem Weg unterstützt. Die Alevitische Gemeinde Deutschland fasst die Eigenschaften eines Aleviten wie folgt zusammen:
- Trägt die Heiligkeit Gottes, Mohammeds und Alis im Herzen
- Ist Alis Gerechtigkeit treu
- Lebt Menschenliebe
- Achtet und toleriert alle Religionen
- Vermeidet Diskriminierung
- Beherrscht sein Ego
- Ist aufrichtig, freundlich und barmherzig
- Legt Wert auf Wissen, insbesondere geistliche Wissenschaft
- Strebt geistige Entwicklung an
- Wendet sich angstfrei und liebevoll an Gott
- Sieht Gott und Menschen als Einheit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der alevitische Glaube eine tief mystische, egalitäre und auf innerer Spiritualität basierende Religion ist, die sich deutlich vom sunnitischen Islam unterscheidet. Der Glaube an Allah ist vorhanden, aber seine Interpretation ist einzigartig und geprägt von Mystik, Toleranz und dem Streben nach innerer Vervollkommnung.
Häufig gestellte Fragen: Glauben Aleviten an Allah?
Glauben Aleviten an Gott?
Ja, Aleviten glauben an einen einzigen, allgegenwärtigen Gott (Allah/Hakk), den Schöpfer und Ursprung allen Seins.
Wie verstehen Aleviten Gott?
Aleviten verstehen Gott als immanente und allumfassende Kraft, die in der gesamten Schöpfung präsent ist. Der Fokus liegt weniger auf einer personalen Gottheit, sondern auf der eigenen spirituellen Entwicklung und der Verwirklichung der göttlichen Eigenschaften in sich selbst.
Ist die Verehrung Alis ein Widerspruch zum Glauben an Allah?
Nein. Ali wird als wichtigste Verkörperung der göttlichen Wahrheit angesehen und nicht als Gott verehrt. Seine Verehrung ist untrennbar mit der Anerkennung der zwölf Imame verbunden, die als spirituelle Führer und Mittler zwischen Gott und Menschheit betrachtet werden. Die Einheit von Allah, Muhammad und Ali wird betont.